Stimmen der Kritik

 

Denken, Hinterfragen, Kritik Üben ist das Hauptmotto von Zehra İpşiroğlus Büchern. – Zeynep Oral

 

Der Autorin gelingt es, mit Hilfe der Sprache ihre Figuren zu entlarven, z.B. wie sie Begriffe so ändern und verdrehen, dass Gewalt legitimiert wird. – Meral Harmancı

 

Die Autorin erkundet die Möglichkeiten des Dokumentartheaters aus der Sicht benachteiligter Frauen. Dabei entwirft sie eine Welt, in der dennoch Hoffnung besteht: durch die Solidarität der Frauen untereinander. – Fatma Onat

 

Gewalt gegen Frauen, Widerstand gegen Mechanismen der Unterdrückung und auch die Identitätssuche bilden die Hauptthemen in İpşiroğlus Theaterstücken. – Dikmen Gürün

 

Die Frauengeschichten in İpşiroğlus Büchern  enthüllen die strukturelle Gewalt in einer patriarchalischen Gesellschaft. – Eylem Ejder

 

İpşiroğlu zeigt, dass im Umgang mit der Gewalt gegen Frauen Empathie allein nicht genügt, sondern Strukturen erkannt werden müssen, die diese Gewalt ständig reproduzieren. – Sennur Sezer

 

Wanderjahre von Zehra İpşiroğlu

im Theaterverlag Hofmann-Paul, Berlin

 

Passkontrollen, Häuslebauer, Kreuzberg-Slum und weinende Wörter: Dünya lernt in Istanbul von ihrer Mutter die Liebe zur klassischen Musik und von ihrem Vater die Begeisterung für die deutsche Literatur. Das deutsche Au-Pair-Mädchen Brigitte bringt ihr die deutsche Sprache bei – durch Ohrfeigen. Als sie nach dem Putsch 1960 mit ihrer Familie nach Deutschland auswandert, beginnen für sie die Wanderjahre. Im Deutschland der 1960er Jahre lernt die Familie Häuslebauer und spleenige Deutsche wie Witwe Müller kennen – Abendbrotkultur mit Blutwurst-Semmele, aufdringliche Fragen und Klischeebilder inklusive. In den 70ern sieht und erlebt sie als Studentin die elende Situation türkischer Migrantenkinder in Berlin-Kreuzberg, denen sie die lachenden und weinenden Wörter der deutschen Sprache beibringt und ihr Vertrauen und ihre Liebe gewinnt. In der Gegenwart und Jahre später sieht Dünya, was sie mitunter erreicht haben: Imbissbesitzer, Polizist, Journalistin – und ist verwundert, als sie auf die nationalstolze Deutsch-Türkin Kader trifft.

    Dünya erzählt und spielt kleine Szenen aus ihrem Leben, das immer wieder zwischen der Türkei und Deutschland pendelt. In einem liberalen, deutschlandbegeisterten Akademiker-Haushalt in Istanbul aufgewachsen, wird sie zunächst mit dem deutschen Spießbürgertum und später als radikalstem Clash mit der desolaten Lebenssituation der Migrantenkinder konfrontiert. 

    Zehra İpşiroğlu verknüpft mosaikartig die Geschichte ihrer Protagonistin mit den Berichten und dem Erlebten von Migranten der siebziger Jahre. Das Motiv der Migration und die Auswirkungen vor allem auf die Kinder, werden auf mehreren Zeitebenen behandelt. Mit Dünyas Blick zeichnet sich aus der Distanz ein Bild von Deutschland, der Haltung zu Migranten und der Entwicklung der eigenen kulturellen Identität. Die Rahmenhandlung bildet dabei die politische Lage in der Türkei und die Putsche 1960, 1971 und 1980 bis zum Militärputsch-Versuch der Gegenwart – die europaweite Krise der Demokratie wird aus türkisch-deutscher Perspektive gezeigt und für das Publikum erlebbar.

    Ein unverzichtbares und vielschichtiges Stück, das aus türkisch-deutscher Perspektive auf Deutschland blickt – und das zeigt, wie wichtig und kostbar Demokratie ist.