Keines Landes Dichter

 

Mehmet Yaşin ist eine markante literarische Stimme des östlichen Mittelmeers.

Achim Engelberg hat ihn auf seiner geteilten Heimatinsel Zypern besucht.

 

Wer nach Zypern reist, erkennt besonders in Nikosia, dass die Insel geteilt ist. Fährt man etwa von den langen Sandstränden des Karpas im türkisch besetzten Teil quer über das Eiland zu den schroff aus dem Meer ragenden Felsen der Aphrodite, muss man Grenzkontrollen über sich ergehen lassen, die an die deutsche Teilung erinnern. Verständlich, dass der Reisende einen Döner-Laden «Berlin Wall II» finden kann. Wie man beim ummauerten Westberlin die Grenzanlagen nicht verstecken konnte, die das Unnormale augenfällig machten, gilt das heute für Nikosia. Doch damit enden alle Parallelen, denn es gibt weder ein relativ homogenes Staatsvolk noch eine gemeinsame Sprache. Die Autoren der Insel gehören zur türkischen oder zur griechischen Literatur und publizieren vorrangig in Athen oder Istanbul. Im Gespräch meint Mehmet Yaşin, der neun Lyrikbände, drei Romane und drei Essaybände publizierte und dessen Werk in über zwanzig Sprachen übersetzt ist, dass es auf der Insel keinen professionellen Verlag gebe. «Sie wollen eine Nation sein, aber sie haben keine Nationalsprache, keine Literatur.»

Gezeichnet von der Geschichte

Der türkischsprachige Mehmet Yaşin wurde kurz vor dem Ende der britischen Herrschaft 1958 geboren und erlebte als Kind blutige griechisch-türkische Auseinandersetzungen; aber nicht nur politisch standen die Zeichen auf Teilung, die Eltern, beide in der Kulturszene aktiv, trennten sich, noch ehe er geboren war. Zudem starb seine Mutter früh, grossgezogen wurde er von seiner Grosstante Süreyya Yaşin, die in seinem Werk immer wieder auftaucht: «Die Ruinen unserer Erinnerung waren ihre Aufgabe, / die Mitgift-Raten des Hauses / und die Lehrerunterkünfte und die Flüchtlingsbaracken und / so verflog ihr geliebtes Leben, von einem Krieg in den / nächsten getragen.» Oder «in diesem Leichenhaus, als ich mein Tantchen zum letzten Mal / küsste / neben den Leichen von Soldaten, deren Selbstmord man / verschwieg».

 

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