Rezensionen: "Zagreb" von A. Robertazzi

"Es war ein schöner Morgen. Wir machten vier Leute kalt."

Migazin (Adriana Enslin), 06.12.13


Arturo Robertazzis Debüt „Zagreb“, diesen Monat in deutscher Übersetzung erschienen, erzählt schonungslos und brutal von der jüngeren europäischen Vergangenheit, von den Kriegen, die „neben unserer Haustür“ stattfanden. Aber vor allem ist der Roman eine Auseinandersetzung mit der Frage: was macht der Krieg mit dem Menschen? Wie werden Freunde zu Feinden?

 

Die Handlung spielt sich an einem zunächst unbestimmten Ort ab. Eine Gruppe von Männern hat in einer halb zerstörten Fabrik ein Gefängnis eingerichtet, in dem Menschen festgehalten und getötet werden. An den Namen der Figuren und an einigen subtilen Hinweisen erkennt der Leser, dass die Geschichte in der heutigen Zeit spielt, wahrscheinlich irgendwo im östlichen Europa. Er versteht, dass dort Krieg herrscht und dass es vor dem Krieg anders gewesen sein muss, dass vor dem Krieg ein Zusammenleben möglich war. Der Protagonist gehört in diesem Moment zu den Stärkeren, zu denen, die töten. Denn auch das versteht man schnell, wären sie die Stärkeren, wären die Rollen vertauscht, dann würden sie uns töten. Alles beschränkt sich auf diese Unterteilung in zwei Gruppen, darauf und auf das Töten, auf den Krieg.

Der Protagonist scheint jung zu sein, im ersten Kapitel entdeckt er seinen ehemaligen Lehrer unter den Gefangenen. Er erschießt ihn. Aber auch sein ehemals bester Freund Dražen sitzt in einer der Zellen, angeschossen fleht er ihn um Hilfe an. Dies ist der Auslöser für einen inneren Bruch mit dieser Gegenwart, die sich ganz auf ein hasserfülltes, machtbesessenes Heute reduziert hatte. Erinnerungen tauchen auf, Erinnerungen an eine Zeit, in der es Frieden, Freundschaft und Liebe gab. Wie Schlaglichter mischen sie sich mit der Realität des Gefängnisses, in der alles vom Wort des Kommandanten abhängt.

Die Kameraden des Protagonisten sind Igor, der von allen seine Menschlichkeit am wenigsten verloren zu haben scheint, Alek, dessen Erfahrungen im Krieg ihn blut- und rachedurstig gemacht haben, und Emir, den sie irgendwo auf dem Land finden, wo er als Heckenschütze auf Passanten schießen muss. Emir ist zwölf.

Das Erwachen seiner Erinnerungen stürzt den Protagonisten zunehmend in einen Konflikt. Kann er seine frühere Freundschaft ignorieren? Soll er Dražen helfen? Hin und hergerissen sucht er immer wieder die Nähe des Schwerverletzten, wodurch er sich von seinen Leuten zu entfremden beginnt. Es bahnt sich eine Auseinandersetzung mit Alek an, dessen Handeln immer sadistischere Züge annimmt. Der Kommandant scheint müde zu werden, lässt zunehmend die Zügel schleifen, wodurch Alek mehr Freiheiten gewinnt. Die Lage spitzt sich weiter zu, als neben Dražen auch noch das Mädchen ins Gefängnis gebracht wird, in das der Protagonist einst, in seinem früheren Leben, verliebt war. Kann er sie retten? Darf er sie retten?

Die Hinrichtungen gehen weiter, unterbrochen von Bombardements, mental durchbrochen von den Träumen und Albträumen des Protagonisten. Am Ende erfährt man, wie die Situation in der Fabrik zustande kam, wie aus zwei Freunden Feinde wurden. Am Ende stehen sie sich in einem grotesk-symbolischen Szenario gegenüber, die beiden Freunde, einer als der Scharfrichter des anderen.

„Zagreb“ zeichnet sich durch eine starke Reduzierung aus, inhaltlich und sprachlich. Alles wird zurückgefahren auf eine Gegenwart, in der es nichts gibt als den Krieg. Der Satzbau ist einfach und kurz, die Sprache hart, passend zu der Brutalität der Handlung. Dazwischen erscheinen die Einschübe aus der Vergangenheit wie zarte Poesie, in diesen Passagen tauchen plötzlich Worte wie „Café“, „Buch“, Fahrrad“ auf, man spürt die Freundschaft der zwei Freunde, die Verlegenheit des Protagonisten angesichts seiner Angebeteten, die heimlichen Blicke der Verliebten. „Zagreb“ ist ein Konflikt, zerrissen wie sein Protagonist. Es sind Krieg und Frieden, Gegenwart und Vergangenheit, Liebe und Hass, die hier aufeinandertreffen, Traum und Wirklichkeit, Leben und Tod, Handlung und Betäubung. Aus einem scheinbar für sich stehenden Heute fächert sich im Verlauf des Romans langsam nicht nur die persönliche Geschichte des Protagonisten auf, sondern auch die des Krieges. Dabei sind es nie Sätze wie aus dem Lehrbuch oder aus einem Zeitungsbericht, sondern immer nur winzige Andeutungen, wie ein alter Kalender an einer Wand, der seit mehreren Jahren unverändert das Jahr 1991 anzeigt.

Es gibt keine allwissende Stimme, die erzählt, niemand stellt sich über das Geschehen, nichts wird aus einer vermeintlichen Objektivität heraus bewertet. Bis zum Ende des Romans kann man es nur erahnen, wer in dieser Geschichte welcher ethnischen Gruppe angehört. Genannt wird keine von ihnen, eine Benennung ist ohnehin überflüssig, da es sich nur um austauschbare Chiffren handeln würde. Am Ende sind sie alle gleichermaßen Täter und Opfer, das Trauma des Krieges hat sie alle gleichermaßen zerstört.

Der Titel des Buches ist fast der einzige Hinweis auf eine mögliche Lokalisierbarkeit des Geschehens und tatsächlich könnte es auch eine andere Stadt sein, eine andere Zeit, ein anderer Krieg. „Zagreb“ ist eine Geschichte über den Balkankonflikt, aber vor allem ist es eine Geschichte über die Grausamkeit und die Unmenschlichkeit des Krieges, egal wo er stattfindet, egal wer gegen wen kämpft.

 

http://www.migazin.de/2013/12/06/es-morgen-wir-leute/